Slow Travel und Digital-Detox-Hotels


Slow Travel und Digital-Detox-Hotels

Ständige Reizüberflutung, ungesundes Essen, zu wenig Schlaf: Das Leben im digitalen Zeitalter kann anstrengend sein. Ein wenig Sport, ein bisschen Wellness alle vierzehn Tage reichen oft nicht aus, um all das auszugleichen. Wir suchen vermehrt nach Orten, die uns besonders gründlich aufladen, uns der Reizüberflutung entziehen und uns auf neue Ideen bringen.

Slow Living – die Sehnsucht der Konsumenten nach Entschleunigung, Einfachheit und Nachhaltigkeit wird das Reisen und damit auch die Hotellerie und Gastronomie einschneidend verändern. Denn Reisende suchen in wachsendem Maße nicht mehr Komfort im Sinne von meterlangen Schlemmerbüffets, 24-Stunden-Zimmerservice, drei Zimmertelefonen mit Faxanschluss, hörbarer Minibar, Flat-Screen-TV oder banaler Nonstop-Animation. Wurde Luxus im Reisemarkt der Vergangenheit mit Privatheit, Perfektion, Auswahl und Überfluss interpretiert, gelten nun vermehrt Stille und Isolation als neue Werte.

Wir gingen auf die intensive Suche nach frischen Ideen, die aufzeigen, wie sich Lebenstempo und Lebensrhythmus und damit auch das Reisen verändern. Touristische Angebote werden nach unserer Auffassung in Zukunft vor allem ein Gefühl des Zurück-zu-sich-selbst in zeitgemäßer Weise auslösen müssen. Denn im Reiseverhalten spiegeln sich langfristige gesellschaftliche Veränderungen wider.

Mit dem Eremito Hotelito del Alma fanden wir einen einzigartigen Ort, der Stille und Isolation weitab von den Geräuschen des täglichen Lebens bietet. Tage der Stille, Wanderungen, die Mönchszelle als persönliches Refugium zum Entspannen und Ausruhen bieten Freude, Staunen, Genuss und Verzauberung im Hier und Jetzt. Hier wird Reisen zum reflektierenden Prozess, der die eigene Vorstellungskraft und den eigenen Schöpfungswillen weckt.

Im Mai 2015 reiste Ragnar Willer ins Eremito Hotelito del Alma, um für drei Tage wirklich abzuschalten und über die Zukunft des Reisens und neue Trends der Branche nachzudenken. Die Erforschung des Themas Future Travel ist gerade auch deshalb interessant, da Veränderungen im Reiseverhalten illustrieren können, wie sich gesellschaftliche Einstellungen insgesamt verändern.

Hier folgen nun sein Reisebericht und Auszüge aus seinen Gesprächen vor Ort.

Es beginnt schon mit dem Duft – das große Durchatmen. In der Ferne werden Wiesen gemäht, die Oleander, dicht mit Blüten geschmückt, wiegen sich im Wind. Das Lauschen der Natur wirkt meditativ. Google Maps verabschiedet sich endgültig. Das iPhone empfängt keine Signale mehr. Es sind noch ein paar Kilometer bis zum Eremito. Ich stehe inmitten spektakulärer Natur. Und ich bin trotz der Anreiseabenteuer völlig entspannt.

Die Landschaft und die Vorfreude auf Digital Detox sind für mich wie Seelenbalsam. Ich freue mich darauf zu entspannen, die Batterien aufzuladen und mit Marcello Murzilli einen Hotelier zu treffen, der mit seiner Lebenshaltung und seinem Angebot eine Branche revolutioniert. In den achtziger Jahren gründete Marcello Murzilli die Textilmarke “El Charro”. Später entschied er sich, die Welt mit Cheone, einem historischen, 1937 gebauten Segelschiff, zu umsegeln. Dabei fand er an der mexikanischen Pazifikküste einen Ort, an dem er eines der ersten Eco-Resort der Welt schuf und für 14 Jahre betrieb. Dieses “Hotelito Desconocido” wurde in London als “One of the top five Eco-Resort in the World” gekürt. Nach seiner Zeit in Mexiko schuf er in Italien das Eremito Hotelito del Alma, das er im Jahr 2013 einweihte. L’Eremito Hotelito del Alma ist das erste Digital-Detox-Hotels Italiens.

Während des Aufenthaltes diskutierte ich u.a. folgende Fragestellungen mit Marcello Murzilli:

Herr Murzilli, beschreiben Sie einmal für den Leser wo wir uns hier genau befinden?

Wir sind im Eremito Hotelito del Alma, dem ersten Digital-Detox-Hotel Italiens. Wir liegen in der Region Umbrien ca. 1,5 Stunden von Rom und Florenz entfernt, wobei man die letzten Kilometer nur mit einem Geländewagen oder noch besser zu Fuß zurücklegen kann. Wir sind relativ abgelegen, haben keine Nachbarn. Um uns herum ist nur Natur.

Für was genau steht das Eremito?

Das Eremito Hotelito del Alma ist ein in mühsamer Arbeit wiederaufgebautes Kloster aus dem 13. Jahrhundert. Wohin man blickt: Alles ist grün. Wir befinden uns in einem 3.000 Hektar großen Naturschutzgebiet.

Neben der besonderen Lage nimmt der Gast uns vor allem über seine Mönchszelle, sein Zimmer, wahr. Wir haben 14 sogenannte „Celluze“ (Mönchszellen). Diese bieten einen Komfort nach dem sich viele sehnen: Kein Telefon, kein Fernsehen, keine Minibar, keine Klimaanlage, kein Internet. Während das gemeinsame Frühstück und Lunch Geselligkeit und Austausch ermöglichen, wird das Abendessen in absoluter Stille eingenommen. Eremito speist – so die Vorstellung – in das Leben seiner Gäste Kraft, Genuss und Langsamkeit. Dies ist unser Anspruch.

Herr Murzilli, als Innovator der Reisebranche, Sie hatten in den 1990er Jahren das Hotelito Desconocido in Mexiko geründet, möchte ich Ihnen die Frage stellen, was Menschen auf Reisen in der Zukunft suchen werden? Und was werden Reisende mit Luxus und Komfort in der Zukunft verbinden?

Hier habe ich eine sehr radikale Einstellung. Ich glaube, Menschen verbanden in der Vergangenheit wirklich Dinge wie eine Minibar, ein Fernsehgerät oder auch die Idee, dass ihnen jeder Wunsch von den Lippen abgelesen und erfüllt wird mit Luxus. Dies ändert sich aber sehr. Denn Luxus wird immer mehr mit immateriellen Dingen assoziiert, die rar sind. Also, z.B. mit Klarheit, mit Zeitwohlstand und auch damit, dass man keine Entscheidungen treffen muss oder kann. Bei uns kann man z.B. nicht wählen, was man isst. Wir respektieren natürlich Allergien und Unverträglichkeiten, aber ansonsten gibt es das, was wir servieren. Man muss nicht und man kann nicht wählen. Dies ist für viele Menschen, die im Alltag Duzende wenn nicht Hunderte Entscheidungen pro Tag fällen müssen, sehr entspannend. Wir wollen wenig Komplexität, also Einfachheit. Dafür steht das Eremito. Auch gestalterisch. Ich denke, dass die Atmosphäre, die wir bieten, einfach auch zur Reflektion einlädt. Das hat man nicht in einem Club Med oder in einem Hotel mit vielen visuellen Geräuschen. Reisende wollen einfach einmal Durchschnaufen. Das können viele im Alltag nicht mehr. Und wenn man in einem normalen Hotel ist, mit Telefonempfang und Wifi, ist man gar nicht im Urlaub. Da man konstant mit der Außenwelt, mit der Arbeitswelt, verbunden ist. Wir sind digital-detox, also bei uns gibt es kein Wifi und man muss schon ein Stück auf einen Hügel laufen, um Handyempfang zu haben. Da man also sich nicht connecten kann, lässt man es sein und greift nicht ständig zu seinem Smartphone oder Tablett. Es gibt also weniger Reize. Und das ist, glaube ich, das was viele suchen. Weniger, passender und eben nicht mehr. Das Mehr, das gibt es da draußen. Das kennen wir. Das ermüdet uns. Wir wollen, dass sich der Gast fallenlassen kann, denn bei uns tut ihm alles gut.

Es waren nun fast 800 Gäste seit der Eröffnung hier im Eremito. Was suchen Ihre Gäste? Wie sieht der durchschnittliche Gast aus? Welche erste Bilanz ziehen Sie?

Interessanterweise sind – obwohl das Eremito ja ein Kloster war und auch diese Atmosphäre bietet – viele Gäste, ca. 70 Prozent bis 80 Prozent Frauen. Diese kommen auch oft mit einem genauen Ziel bzw. mit dem Wunsch, körperlich und geistig erholt, in den Alltag zurückzukehren. Die männlichen Gäste kommen vor allem mal, um Eremito auszuprobieren. Sie sind neugierig. Die Mehrheit der Gäste sind natürlich Einzelreisende, so ist das Eremito ja auch konzipiert. Wir bieten ja nur Einzelzimmer. Was uns überrascht hat, dass auch Menschen mit großen Problemen kommen. Das ist ein sehr kleiner Teil der Gäste. Aber hier sind wir gefordert, zukünftig auch mit Partnern, wie Psychologen zusammenzuarbeiten, an die wir die Gäste empfehlen können. Denn am Ende sind wir ein Hotel, mit einer speziellen Haltung, wir können aber niemanden seelisch betreuen. Bei uns geht es darum, Zeit für sich zu finden, Zeit für sich selbst zu haben, sich zu ergründen. Wir haben viele Gäste aus den USA, Deutschland, insgesamt Europa, weniger aus Italien.

Also auch aufgrund des Hintergrunds der Gäste kann man nicht sagen, dass wir einen typischen Gast haben. Das ist ja das Besondere und das gefällt auch den Gästen. Denn man kann hier sehr spannende Gespräche führen, neue Leute kennenlernen. Das geht sehr leicht, denn wir haben ja maximal 14 Gäste zur gleichen Zeit.

Was denken Sie, was kann die Reisebranche von Eremito lernen?

Ich denke, die Branche muss Slow Living, so wie Sie das mit Einfachheit, Entschleunigung, Sustainability verbinden, neu interpretieren und bewerten. Es gibt hierfür einen Markt und wir zeigen auf, dass man in einer Nische sehr erfolgreich sein kann. Zudem geben wir Impulse bzw. regen zum Nachdenken an. Kann z.B. ein Hotel auch ein Silent Breakfast anbieten? Was braucht der Gast wirklich in seinem Zimmer? Hier bieten wir ja eine Antwort mit unserem Konzept „New Luxury“. New Luxury heißt für uns kein Telefon, kein Fernseher, keine Minibar, keine Klimaanlage.

Wie ist das mediale Echo seit der Eröffnung?

Nun, wir erhalten sehr viele Anfragen. Wir haben auch sehr viele Preise und Auszeichnungen gewonnen, wurden Mitglied der Design Hotels. Und es spricht sich herum, was man bei uns finden kann. Daher sind wir fast immer ausgebucht.

Was sind die nächsten Projekte hier im Eremito?

Wir streben danach ernährungstechnisch noch unabhängiger zu sein. Also, wir wollen die landwirtschaftlichen Flächen noch ausbauen und genug anbauen, um unsere Gäste komplett mit dem was hier wächst, ernähren zu können. Das ist das nächste Ziel für uns.