Holger Klapperich und der Delay-o-mat
Die Slow Living Conference hat den Anspruch sich tiefgründig mit der Thementrias Entschleunigung, Einfachheit und Nachhaltigkeit zu beschäftigen und lädt daher Agenten des Wandels aus unterschiedlichen Bereichen und Disziplinen ein. Wir glauben, dass uns gerade künstlerisch-wissenschaftliche Arbeiten zum Nachdenken anregen, uns herausfordern und uns persönlich weiterbringen können. Mit Holger Klapperich konnten wir einen Doktoranden der Folkwang Universität in Essen gewinnen, der in der Dialogcorner der Slow Living Conference seine Erfindungen, den Delay-o-mat, erläutern wird.
In Vorbereitung auf die Slow Living Conference führten Kati Drescher und Ragnar Willer ein Interview mit Holger Klapperich.
Sie beschäftigen sich intensiv mit Ästhetik. Gibt es eine besondere Slow Living Ästhetik? Wir empfinden vor allem die Ästhetik von Kinfolk auf globaler Ebene und im deutschsprachigen Raum die Ästhetik von emotion Slow. als sehr zeitgeistig. Welche bildhafte Ästhetik würden Sie selbst mit Slow Living verbinden?
Um die Jahrhundertwende proklamierten Futuristen wie Marinetti, dass die Schnelligkeit die neue Schönheit bedeute. Heute liegt die Gegenbewegung der „Entschleunigung“ voll im Trend. Ich bin der Meinung, dass für mich die besondere Ästhetik von Slow-Living darin besteht, dass man nicht alles per se entschleunigt, sondern auf intelligente Weise nach Teilabschnitten sucht, die verlangsamt werden sollten. Ein ganzheitliches Design, das von vielen verschiedenen Blickpunkten aus unser Alltagsleben betrachtet, birgt dann eine besondere Ästhetik, wenn es sich bewusst für eine Verlangsamung entscheidet. Es ist, wie so oft im Leben, man muss die Facetten zwischen den Kontrasten sehen und ich glaube genau das kann slow-design leisten.
In den letzten Jahren wurden vermehrt Produkte und Dienstleistungen mit Attributen, wie „authentic“, „artisanal“, „hand-crafted“, „handmade“ oder „curated“ lanciert. Wie sehen Sie diese Entwicklung, die sich ja vor allem an oberflächlichen Produkteigenschaften orientiert? Muss nicht das Produkt selbst bzw. deren Nutzung uns entschleunigen? Gibt es hier interessante Produktentwicklungen von denen Sie uns berichten können?
In der Vergangenheit haben wir einen zu schnellen Schritt in die Zukunft gemacht, ohne dabei auf die Folgen und Auswirkungen auf uns und unsere Umwelt zu achten. Manchmal ist es sinnvoll, einen Blick auf die Vergangenheit zu richten und dort nach Inspiration und Erkenntnissen zu suchen. All die von Ihnen genannten Attribute sind nicht neu, sondern bereits in der Vergangenheit entstanden. Ich bin davon überzeugt, dass aus Sicht des Nutzers nachvollziehbare Prozesse, wie beispielsweise handgemachte Produkte, Sicherheit und Beständigkeit bedeuten – zwei Werte, die in unserer beschleunigten Gesellschaft fehlen.
Oftmals werden heute bedeutsame Momente durch eine permanente Beschleunigung schlichtweg weggestaltet. Richtungsweisend empfinde ich, wenn Gestalter sich intelligenter mit dem Zusammenhang auseinandersetzen und Teilprozesse entschleunigen und dadurch Raum für bedeutsame Momente schaffen.
Ein schönes Beispiel hierfür ist eine Studie, die wir zum Thema „Kaffeekochen“ durchgeführt haben: Wir haben Probanden zuerst sehr manuell Kaffee zubereiten lassen (mit Kaffeemühle und Espressokocher) und als Vergleich dazu ganz automatisiert (mit einer Kaffeepadmaschine). Im Durchschnitt braucht der manuelle Prozess zwölf Minuten, der automatisierte Prozess hingegen drei Minuten. Dennoch beschreiben die Testpersonen das Warten während der drei Minuten beim automatisierten Kaffeezubereiten als negativsten Moment. Ein durchaus paradoxes Ergebnis.
User-Experiences erzeugen im Alltag meist Stress – ob Ticketautomat, Bildschirmmenü oder Nutzeroberfläche. Wie können User-Experiences in Ihren Augen stressfrei gestaltet werden? Wir stellen diese Frage vor allem vor dem Hintergrund, dass die Interaktion mit dem Mensch, z.B. in Verkaufsprozessen durch User-Experiences ersetzt wird.
Wenn User-Experience-Design ganzheitlich umgesetzt wird und im Vorfeld die Bedürfnisse des Nutzers analysiert werden, sollten die Erlebnisse unter dem Strich nicht negativ oder neutral, sondern positiv sein. Gerade bei komplexen Problemstellungen und Systemen ist dies kein einfaches Unterfangen, aber ich bin davon überzeugt, dass ein intelligentes Nutzererlebnis-Design durchaus dazu in der Lage ist, weil es nicht nur Probleme löst sondern zudem den Nutzer befähigen kann.
Sie werden auf der Slow Living Conference eine besondere künstlerische Arbeit vorstellen. Um was handelt es sich hierbei genau?
Der Delay-o-mat ist ein Getränkeautomat, der den Konsumenten bewusst vor die Frage stellt: Möchte ich mein Getränk schnell oder langsam geliefert bekommen. Hierbei durchläuft die Getränkedose, je nach Entscheidung, eine jeweils andere Performance. Bei der schnellen Variante ist das Erlebnis verkürzt, bei der Entscheidung für die Langsamkeit wird das Erlebnis bewusst verlängert. Der Delay-o-mat soll also eine Metapher darstellen, die sich leicht auf verschiedenen Lebensbereiche übertragen lässt und so den Nutzer zur kritischen Reflektion gegenüber seinem Konsumverhalten anregt.
Slow Living – die Suche nach Entschleunigung, Einfachheit und Nachhaltigkeit – zeigt in unseren Augen auch eine verstärkte Abkehr der Konsumenten von den schlimmsten Ausuferungen der Massenkonsumgesellschaft. Sie selbst – ein Vertreter der Generation Y – haben ein Manifest erstellt. Dürfen wir hier mehr erfahren?
Das Manifest drückt ziemlich radikal das aus, wofür unser Generation eigentlich stehen sollte, nämlich nach der Frage des „WhY?“. Wenn ich als Konsument immer nach dem „Warum“ fragen würde, ließen sich viele Missstände in unserer Gesellschaft mühelos aufdecken und verändern. Denjenigen, die blind dem Massenkonsum folgen, wird der ganze Spaß auf der „anderen Seite“ verloren gehen. Bereits Hannah Arend hat in ihrem Werk deutlich gemacht, dass uns Menschen das „Machen“ Glück und Erfüllung bereitet, weil wir uns so ausdrücken können.
Und zum Abschluss, Herr Klapperich: Was bedeutet Slow Living für Sie ganz persönlich?
Für mich bedeutet Slow Living, dass ich versuche die Welt aus Sicht meiner Großeltern zu sehen. Meine Oma hat früher immer den ganzen Tag in der Küche gestanden und durch ihre Gelassenheit eine wundervolle Atmosphäre verbreitet. An hektischen Tagen denke ich an sie und entschleunige mich und mein Umfeld durch schöne Rituale, wie das gemeinsame Kochen. Kein Konsumprodukt kann ein so einzigartiges, freudvolles Erlebnis ersetzen.