LAURA ROSCHEWITZ ÜBER ZEIT, ZEITDRUCK UND STRESS


LAURA ROSCHEWITZ ÜBER ZEIT, ZEITDRUCK UND STRESS

Verglichen mit früheren Generationen haben wir heute durchschnittlich viel mehr Freizeit. Und trotzdem wird unser Leben immer schneller und stressiger. Diesen Eindruck haben wir, weil wir das Gefühl haben, tagtäglich unendlich viele Entscheidungen treffen zu müssen. Wir leben in einer Zeit, die dem Individuum mehr Freiheiten als jemals zuvor bietet, aber gleichzeitig mehr und häufig auch komplexere Entscheidungen abverlangt.

Laura Roschewitz hat in einer wissenschaftlichen Studie im Fachbereich Wirtschaftspsychologie an der HS Fresenius in Hamburg die gesellschaftliche Lage und Befindlichkeit hinsichtlich Zeit, Zeitdruck und Stress untersucht. Ihre Untersuchung mit fast 600 Befragten zeigt auf, welche Bedeutung die Themen Entschleunigung, Zeitautonomie und Erholungsphasen heute haben. Ihre Studienergebnisse eröffnen eine neue Perspektive auf das Thema Entschleunigung und Erholung für Bereiche wie Health, Human Resources sowie neue Dienstleistungen.
Laura Roschewitz wird als Protagonistin auf der Slow Living Conference 2014 über die Beweggründe zu ihrer wissenschaftlichen Studie, den Ergebnissen und den Key Learnings sprechen. Wir sprachen im Rahmen der Slow Living Conference Vorbereitung mit Laura Roschewitz

Was hat Dich zur Studie veranlasst?
Wie so oft kam der Impuls aus einer Phase in meinem Leben in welcher ich mich ganz persönlich mit dem Thema Zeitdruck und Stress auseinandersetzte. Im Nachhinein eine sehr wertvolle Phase meines Lebens. Ich entschied mich für eine Auszeit von Studium und Job, um mich zu erholen – ich war vom gesellschaftlichen Strudel und den ganzen Entscheidungen meines Lebens an meine persönlichen Grenzen gekommen. In dieser Phase beschäftigte ich mich viel mit den Themen Zeit, Zeitdruck, Belastung, Burnout und Stress. Mir fiel auf, dass es kaum empirische Studien zu dem modernen Begriff der Entschleunigung gab – obwohl es in aller Munde und in vielen Medien sehr präsent ist. Ich begann mich damit zu befassen und es zog mich so an, dass ich schnell entschied, diesem Thema meine Bachelorarbeit zu widmen.

Was bedeutet Entschleunigung für Dich ganz persönlich?
Häufig wird der Begriff der Entschleunigung nun schon kritisiert. „Man könne ja nicht langsamer leben“. Meine persönliche Bedeutung ist auch eine vollkommen andere. Für mich bedeutet es, dass ich versuche, den Druck soweit es geht aus meinem Leben zu nehmen. Ich versuche, mir Zeit für die Dinge zu nehmen, die mir wichtig sind. Man kann keine Zeit sparen, aber ich denke, dass man lernen kann, wieder wahrzunehmen wofür man sich Zeit nehmen möchte. Genau darum geht es mir. Was möchte ich eigentlich? Und was denke ich, was von mir erwartet wird? Ist mir das wichtig? Ich habe gelernt und lerne weiter, gelassener mit den Dingen zu sein. Eine Lücke im Lebenslauf? Ja, und? Ich habe das bewusst entschieden und kann dies auch gut begründen. Ich glaube, es geht vor allem darum, sich wieder mehr auf das einzulassen, was man persönlich will und was einem Freude bereitet. Nicht nur privat, auch im Beruf.
Und als letztes: Ich übe, nur eine Sache gleichzeitig zu tun! In unserer Zeit gar nicht so einfach.

Was war für Dich das überraschendste Ergebnis Deiner Studie?
Auf den ersten Blick überraschend ist, dass sich die Studierenden meiner Befragung stärker durch Zeitdruck belastet fühlen und stärker nach Entschleunigung sehnen als die befragten Berufstätigen. Woran das liegt? Seit der Bologna Reform ist das System noch verschulter, die Studierenden können weniger frei entscheiden. Dies ist jedoch nicht der einzige Hinweis, worin das Ergebnis zu begründen sein könnte. Weitere Aspekte habe ich in meiner Arbeit beleuchtet.
Weiterhin finde ich überraschend, dass Stress und Zeitdruck in keinem Zusammenhang mit der wöchentlichen Arbeitszeit stehen. Viel wichtiger: Entscheidungsfreiheit, Autonomie und Mitbestimmung. Dieses signifikante Ergebnis ist unheimlich aussagekräftig für mich und für die zukünftige Diskussion um Arbeitszeitmodelle und den Wohlstand unserer Gesellschaft.

Du hast Dich im Rahmen der Arbeit auch damit auseinandergesetzt, wie eine Gesellschaft in Zukunft erfolgreich sein wird. Wie sieht eine glückliche Gesellschaft in Zukunft aus? Was sind die Kriterien eines neuen Wohlstandes?
Ich bin davon überzeugt, dass der Faktor Zeit in der Zukunft eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft spielen wird. Da wir weitestgehend gesättigt sind an lebensnotwendigen Gütern und in einer Phase des materiellen Überflusses leben, werden immaterielle Güter in ihrer Wertigkeit steigen. Und ich bin davon überzeugt, dass nur diejenige Gesellschaft langfristigen Erfolg für den Großteil ihrer Mitglieder erreichen kann, welche die Eigenzeiten der Individuen berücksichtigt und respektvoll mit ihnen umgeht. Dadurch könnte Zeitdruck gemindert und Stresserkrankungen Einhalt geboten werden. Nur eine gesunde Gesellschaft kann langfristigen Wohlstand erreichen.

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